LOCATION: Goethe Institute Belgrade, Knez Mihailova 50 ,11000 Belgrade, Serbia
Ausstellung im Goethe Institut Belgrad vom 10.12.2015 bis 31.01.2015
Orte, die nicht sozial oder historisch verortet bzw. nicht kulturell identitätsbildend sind, wie Flughäfen, Kreuzungen, Supermärkte, Hotels, Flüchtlingslager, Staatsgrenzen, werden Transitorte genannt. Sie stellen sogenannte „Nicht-Orte“ (Auge, 1992) dar und sind die gegenwärtigen Faktoren, die unsere Existenz prägen. Dem gegenüber stehen die „Orte“, die sozial und historisch verortet sind und die eine wichtige Quelle der individuellen und kulturellen Identität darstellen, wie das eigene Zuhause, die Geographie des Landes, in dem man geboren wurde oder ein wichtiges national-historisches Denkmal.
Auf der symbolischen Ebene existent sind zudem die „Heterotopien“. Sie stellen „Orte außerhalb aller Orte“ dar, die nach Michel Foucault die Orte sind, die in besonderer Weise gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren, indem sie sie repräsentieren, negieren oder umkehren (1967). Heterotopien sind „wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können“ (1992: 34 – 46).
Die Arbeit der Künstlerin Jovana Popić mit dem Titel „Weder hier noch da“ macht uns unseren konstanten Zustand der Bewegung zwischen den Orten und Nicht–Orten in unserem Leben bewusst und sichtbar. Gleichzeitig lädt sie uns ein, unsere persönliche Navigation in der Welt zu überdenken. Ihre Rauminstallation besteht aus Reliefs, Fotografie, Video und Ton. Dabei setzt sie einem Ort einen Nicht-Ort entgegen. Durch ihre Arbeit hinterfragt sie, ob Orte immer noch wichtige und tiefgreifende Zentren menschlicher Erfahrung sind und ob wir uns mit bestimmten Orten assoziieren können. Ob ein bestimmter Ort ein Ausgangspunkt sein kann, von dem aus wir uns zur Welt orientieren und unser Identitätsbild schöpfen. Andererseits untersucht sie, ob auch die bewusste Erfahrung des Lebens und der Bewegung in den Transitorten ebenso tief mit dem Leben an sich verbunden ist. Im aktuellen politischen Kontext der Flüchtlingskrise sind Gedanken zur Identität unumgänglich und notwendig. Sie stellen die Frage, ob wir universale zeitgenössische Nomaden-Emigranten geworden sind, die ihr Leben durch Bewegung definieren und daraus unser Identitätsbild erschaffen. Ob wir zu Menschen wurden, die zwischen den Orten existieren, wobei die Erfahrung von der Bewegung wichtiger ist als das Verbleiben am Ort.
„Weder hier noch da“ zeichnet die Spuren einer Suche nach dem eigenen Platz in der Welt. Diese Plätze sind einmalige, emotional und mental verdichtete Orte. In ihrer Arbeit verwendet Jovana Popić Kunst als Mittel in der Untersuchung dieser humanen Geografie. Inspiriert von Wittgensteins Gedanken, dass, wenn wir gezwungen sind die Karte einer Gegend zu verfassen, diese Karte unterschiedliche Wege zeigen wird, die durch die gleiche Gegend führen, von denen wir den einen oder anderen Weg nehmen können, aber nicht zwei (Wittgenstein,1933-34). „Weder hier noch da“ wendet sich den einzelnen Menschen und der Untersuchung der Relation zwischen seinen geographischen Konstrukten und seiner Identität zu. Symbolisch betrachtet, entstehen die geographischen Konstrukte der Menschen anhand ihrer einzigartigen Navigation durch die Welt. Sie stellen ein komplexes Netz der individuellen Beziehungen zur Orten dieser Welt dar. Die Beziehungen der Menschen mit den Orten sind beidseitig geprägt – unter anderem emotional, rational, sozio-kulturell, historisch und politisch. Zusammen zeichnen sie für jeden Menschen ein anderes, einmaliges Territorium ein, in dem er sich bewegt. Diese Territorien sind komplexe Konstrukte, die auf einer physischen, aber gleichzeitig auch auf einer mentalen, nicht-physischen Ebene existieren. Sie gleichen einer individuellen aktiven Heterotopie, in der die wirklichen Orte gleichzeitig, von einzelnen Menschen, repräsentiert, negiert oder umgekehrt werden. Deshalb stellt eine Heterotopie einen persönlichen, eigenen Ort, einen Ort außerhalb aller Orte dar, der weder hier noch da sich befindet. In diesen besonderen Ort zeichnet sich die persönliche Topologie eigener Identität in die Welt ein. Die Existenz eine solcher Heterotopie macht die Spannung zwischen dem universellen Gedanken und der Territorialität sichtbar, was in der heutigen Welt als ein Manifest gelesen werden kann.
Die Ausstellung „Weder hier noch da“ lädt uns in ihr flüchtiges, heterotopes Territorium ein, um von dort aus mit der Konstruktion der eigenen Topografie der Identität anzufangen.
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Auge, Marc (1992), Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, S. Fischer, Frankfurt 1994
Foucault, Michael (1967), Andere Räume in Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig Barck, Karlheinz u.a., 1992
Wittgenstein, Ludwig (1933-34), Cambridge Lecture